4_bullet[1]

folge den Aufforderungen: nimm teil.

sei Teil eines Rauschens. sei hörbare Regung im Sendegebiet.

sei das Kreiseln eines Schiffes unter den Satelliten.

breite die Arme weit aus. sei Open Arms. halte Position.

halte diese Position. halte diese Position aus.

benutz deine Hände. teil Trinkwasser aus, Formulare und Trost.

teil mit offenen Händen den Strand deiner Kindheitsurlaube.

teil, was dir zwischen den Fingern zerrinnt. teil, was du nicht hast.

halt ab die Springer vom Springen. halt Kindern die Hände.

nimm sanft der Mutter ihr Kind aus dem Schoß. verstau es im Kühlfach.

halt kurz die Hand vors Gesicht. geh wieder in Position.

halt Menschenrecht vor Gesetz. das Geheul der Sirenen halt aus.

hol dir Rat von den Ratlosen. hör den Ertrunkenen zu.

hör nicht auf die Stimme in deinem Kopf, die sagt: streiche die Segel.

schwanke vor Lampedusa. glaub ihnen nicht.

leiste den Aufforderungen nicht Folge.

auf einen Hafen nimm Kurs. steuer ihn an.

Aus:

Leuchtende Schafe. Gedichte Schöffling & Co. 2022.

Das Gedicht „Open Arms“ ist exklusiv auf dieser Seite als Plakat verfügbar. Solange der Vorrat reicht.
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4_bullet[1]

An die wirklich krassen Ereignisse erinnert man sich entweder überhaupt nicht. Das Gehirn legt einen Nebel über die Erdoberfläche der Erinnerung, der einiges erkennen ließe, legte man es drauf an. Aber man legt es nicht drauf an. Man rauscht in einem Zug, der längst abgefahren ist, über die Kontinente und versucht angestrengt, im Nebel nichts, gar nichts zu erkennen. Ein zerebrales Gratisticket, das jeder annimmt, dem es zuteil wird.

Oder man erinnert sich in aller Schärfe. Viktor wird sich an Frankreich erinnern, als schaute er durch ein Fernglas, nur falsch herum gehalten. Gestochen scharf die aufleuchtenden Etagenzahlen im Lift des Hôpital Clara Schumann, als er die fünf Stockwerke bis zur Chirurgie II hochfährt. (…)

Aus:

Monster wie wir. Roman Schöffling & Co. 2020.


4_bullet[1]

im Anfang steht niemand.
im Anfangsland lag ich und schrie.
am Ende schweig ich und zieh
ein weiß beschriftetes Spruchband
hinter mir her. was draufsteht?
am Anfang, am Ende der gleiche
Vokal und immer, immer im Liegen
hört ihr meinen Anfang: ich bin
ein Strom, der in andere mündet
in den wieder andere münden.
ich bin ganz aus Sprache gemacht
ich bin ein irrer Anfangsvokal
Alleinstellungsmerkmal meiner
verlorenen Art, die sprechen muss
um sich selbst zu begreifen. wir
sind allein und jetzt alle zusammen:
dona nobis pacem uns zartem
gefräßigem Alphagetier. ich bin
nicht allein. du bist nicht allein
wir irren, o Herr, von einem Verhör
zum andern und stecken einander
Messer rein: ich habe, du hast
nein, wir haben wohl eine Tendenz
zur Ausuferung, also wo ist, o
Big Bang, der Anfang vom Argen?
im Anfangsland lag mein Flüsschen
mit Schnabel. am Anfang lag ich
niemand war ich und niemand
werde ich sein. dazwischen bin ich
Stimmgabel aus flüssigem Stoff
ich bin mein eigenes Lied aus dem Off
über ein vollkommen weißes
Rapsfeld im Schnee

Aus:

Sandig_Feld voller Raps

ich bin ein Feld voller Raps verstecke die Rehe und leuchte wie dreizehn Ölgemälde übereinandergelegt. Gedichte Schöffling & Co. 2016.

hoerbare-dichtung

Das Album zum Gedichtband gibt es exklusiv auf Lesungen und auf dieser Seite. Solange der Vorrat reicht. Hier geht es zur Bestellung. Postadresse nicht vergessen!


4_bullet[1]

Es gibt Dinge von so unwahrscheinlicher Natur, dass die Leute sie einfach nicht glauben. Das stimmt nicht, sagen sie dann, als wären sie dabei gewesen. Aber sie waren nicht dabei und können es nicht wissen. Schreibt man diese unwahrscheinlichen Dinge aber auf und nennt sie eine Geschichte, dann glauben die Leute alles. Sie sitzen aufrecht in ihren Stuhlreihen und halten die Vorleserin mit ihren Blicken fest, wie sie schon als Kinder die Eltern am Bettrand festgehalten haben, bis die Gutenachtgeschichte ausgelesen war. Oder aber sie halten das Buch in ihren Schößen und lassen ihre Augen über die Buchseiten wandern, als suchten sie Spuren im Schnee, den es doch nur in der Geschichte gibt. (…)

Aus:

Sandig_Buch_gegen_das_Verschwinden

Buch gegen das Verschwinden. Erzählungen Schöffling & Co . Frankfurt am Main 2015


4_bullet[1]

gib mir die geschnittenen Felder unter der Folie aus Luft.
gib mir die Kiefern. die ziehen am gar nicht beweglichen Licht.
gib mir den Fischteich da drüben, den ganzen Entengries drauf.
gib mir den plötzlich so dunkel werdenden Grünspan auf meinem

einzeln stehenden Haus. die Wolken rollen drüber hinweg. Augen
auf! schon wieder dehnt sich der Mittag in alle Richtungen aus.


4_bullet[1]

Ich bin Anführer. Mit gemessenen Schritten schreite ich vor dem Zug her. Nicht laufen, sondern schreiten, hat Gunnar gesagt, mit ge-messenen Schritten. Schreiten ist langsames Gehen mit großen Schritten. Nicht zu schnell, aber auch nicht trippeln, Kleiner, also große Schritte, aber nicht so groß, dass du beim Laufen wippst, es muss der Situation angemessen sein, hörst du? Außerdem haben wir Zeit. Das wichtigste ist, gleichmäßig zu schreiten, also: gemessen. Nichts ist schlimmer als ein Anführer, der mal schnell, mal langsam schreitet und dadurch Lücken im Zug verursacht, die durch leichten Trab in den hinteren Reihen wieder aufgeholt werden müssen, wäh-rend sich vorne Bestürzung über die getretenen Fersen verbreitet. (…)

Aus:

Flamingos. Erzählungen Schöffling & Co. 2010


4_bullet[1]

an genau dieser stelle versickert das glück. zu retten
bleibt nur, was aufgeführt ist im inhaltsverzeichnis der see,
der halde versandeter wälder: hühnergötter zu finden bringt
glück!! hühner zu finden nicht, tote vögel zu finden nicht, löcher
zu finden schon, nicht neue GÖTTER zu suchen. lediglich hühner
götter zu finden, auch bernstein, blutproben alter bäume, nur
die einschlüsse guter, surrender träume niemals zu finden.
im schlick nie mehr kronen, echsen, nie ein stück wind.

Aus:

Streumen. Gedichte Connewitzer Verlagsbuchhandlung 2007


4_bullet[1]

Post
von dir
wenn der Tag
noch eine Jungfrau
war und kaum ein Wort
die Klippe runterfiel. meine
heißen Ohren liegen auf dem
weißen Screen und auf
deinem             Herz
Sprung und Stille
dazwischen
atmet
tief